Unbehagen beim Verkaufen – ein typisches Frauenthema – oder doch nicht?

Unbehagen beim Verkaufen – ein typisches Frauenthema – oder doch nicht?

Was bzw. wen sehen Sie, wenn Sie an eine typische Verkaufssituation sehen? Einen Versicherungsvertreter? Einen Autoverkäufer? Einen Staubsaugervertreter? Nun, dann sind Sie in guter Gesellschaft. Wenn ich diese Frage in Vorträgen oder Kursen stelle, haben ca. 80 – 90 % der Anwesenden genau diese Person im Kopf, und es ist zumeist ein Mann, keine Frau. Den wenigsten kommt die nette Dame von der Boutique nebenan in den Sinn. Die Assoziation ist meist männlich und negativ geprägt. Die Eigenschaften die den 3 Typen zugeordnet werden, sind aufdringlich, redegewandt, manipulierend, auf den eigenen Vorteil bedacht, extrovertiert, abschlußstark, etc. – alles männliche Attribute, oder sagen wir neutraler rechtshirnig zugeordnete.

Doch wie sieht die Realität aus? Ist es tatsächlich so, dass die Mehrheit der Verkäufer eine „Haudrauf-Manier“ hat und nur in Zahlen denkt. Ist es tatsächlich so, dass nur Männer verkaufen? Nein natürlich nicht, es ist nur in unseren Köpfen so, und interessanterweise schwebt das negative Bild des Verkaufens tatsächlich in vielen Köpfen herum, auch in vielen Köpfen derjenigen, die etwas verkaufen. Wer sagt von sich schon mit Stolz, dass er Verkäufer ist: die forschen Draufgänger, die Tag für Tag zu Kunden fahren, und versuchen den bestmöglichen Abschluß zu machen? Ich überzeichne hier ganz bewusst.

Denn bei den meisten Leuten schwingt eher ein Unbehagen mit bei dem Gedanken, verkaufen zu müssen, als der Tatendrang. Sie warten lieber, bis sie angesprochen werden, bevor man sie für zu aufdringlich hält. Sie verlieren sich lieber in Konzeptarbeit, bevor sie zum Telefonhörer greifen, um einen potenziellen Kunden von ihrem Angebot zu überzeugen. Denn verkaufen ist nicht jedermanns Sache, zumindest in unseren Köpfen. Denn, wenn wir die Realität betrachten, finden wir unzählige Verkäufer, nicht nur in Läden und Callcenters, sondern in vielen Feldern des Wirtschaftslebens. Jeder Freiberufler verkauft etwas, sonst hätte er keine Kunden. Gleiches gilt für Therapeuten, Kliniken, Schulen, Wohlfahrtsorganisationen oder auch Angestellte, die sich bewerben müssen.

Doch die wenigsten tun es gern. Das gilt vor allem, wenn es darum geht, Kundengruppen direkt anzusprechen oder im Zuge einer sog. Kaltakquise jemand anzurufen, den man noch nicht kennt und für sein Angebot gewinnen möchte. Gerade hier macht sich dann oft ein Unwohlsein breit, das einen eher dazu veranlasst, noch einen Kaffee zu trinken oder doch noch einmal zu prüfen, ob nicht eine wichtige Mail eingetroffen ist.

Ich selbst habe ursprünglich gedacht, dass das Thema dennoch bei Frauen verbreiteter ist als bei Männern. Im Laufe meiner Beratungstätigkeit wurde ich allerdings eines besseren belehrt.

Ich erlebe immer wieder Männer, die komplett in die Knie gehen, wenn es darum geht, den direkten Kundenkontakt zu suchen und fast verschüchtert nach „besseren“ Alternativen fragen. Und ich erlebe Frauen, die vor Zielgerichtetheit und Mut strotzen und gar nicht verstehen können, was an der Telefonakquise so erschreckend sein soll.

Nun, sich mit den tieferen Ursachen von Ängsten zu befassen, ist eigentlich ein Thema für die Psychologen und nicht für eine Vertriebsberaterin. Aber ich habe einige Parallelen entdeckt, in denen sich die Geschlechter einig sind, wenn es um das Unbehagen im Verkauf geht.

Diese sind wie folgt:

  • Es ist ein negativ geprägtes Bild vom Verkaufen vorhanden (à la Versicherungsvertreter)
  • Man möchte nicht aufdringlich wirken und nicht auch nur annähernd wie ein typischer Verkäufer wirken
  • Die eigene Qualität wird in Frage gestellt
  • Die Präsentation der eigenen Leistung oder Person fällt sehr schwer
  • Es wird lieber an der Qualität oder an der Werbung gefeilt, der direkte Kontakt vor allem zu Neukunden wird vermieden
  • Es besteht ein hoher Anspruch an sich selbst und ein Wertegerüst, in dem Ehrlichkeit eine große Rolle spielt

Gerade der letzte Punkt kann sehr ausschlaggebend sein für ein zögerliches Verhalten. Verkäufer, die forsch und zielgerichtet ihre eigenen Vorteile suchen, widersprechen einem Wertekodex in dem Ehrlichkeit und ein nachhaltiges Miteinander eine Rolle spielen.

Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass wir sicher nicht immer davon ausgehen können, dass typisch agierende Verkäufer diese Werte nicht haben, aber es wird oft impliziert, bzw. für sich selbst ausgeschlossen.

Hohe Werte verhindern daher ein zielgerichtetes und forscheres Vorgehen, weil man niemanden über den Tisch ziehen möchte, geschweige denn in irgendeiner Form aufdringlich sein will.

Und diese Werte sind sowohl bei Männern als auch bei Frauen gleichermaßen zu finden. Die Werteausprägungen selbst hängen nicht vom Geschlecht ab, sondern von anderen Faktoren. Fatalerweise blockiert man sich damit selbst. Das ist nicht weiter tragisch, wenn man in einem Laden verkauft, in den Kunden von selbst hineinfinden. Schwieriger ist es für Einzel- und Kleinunternehmer, die das Verkaufen nicht delegieren können und daher in einen Zwiespalt geraten, zwischen ihrem negativen Verkaufsbild und der Not, verkaufen zu müssen um überleben zu können.

Die Lösung klingt platt, aber es ist an sich simpel: ein positives Bild zum Verkaufen entwickeln. Wer sich aber schon einmal damit beschäftigt hat, tiefsitzende Glaubensmuster zu bearbeiten, der weiß, dass ein starkes negatives Bild gar nicht so einfach verschwindet. Da braucht es ein wenig Geduld und Übung. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, sich mit den positiven Attributen eines Verkäufers zu beschäftigen. Auch lassen sich Werte und Verkaufen in Einklang bringen, wenn man lernt beides bewusst zu vereinen. Und letztlich lohnt es sich, wenn sich Erfolg und Zufriedenheit einstellen, egal, ob man im Laden steht oder im Büro sitzt, egal ob Mann oder Frau.

 

Erschienen 2013 im Genders Dialog Magazin: http://www.gendersdialogmagazin.com/

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